Das LOEWE-Zentrum für Insektenbiotechnologie & Bioressourcen (ZIB) an der Justus-Liebig-Universität Gießen
Etwas schneller könnte ein anderes Projekt die Marktreife erlangen: Das Madenpflaster. Was schon Naturvölker eingesetzt hatten, wurde im amerikanischen Bürgerkrieg wiederentdeckt. Denn Soldaten, die verletzt zwischen den Fronten liegengeblieben waren, überlebten eher als solche im Lazarett. Der Grund: Profane Fliegen hatten ihre Eier in die Wunden gelegt – und die geschlüpften Maden fraßen nicht nur nekrotisches Gewebe, sie sonderten dabei einen Cocktail ab, der Wunden bis zu 18 Mal schneller heilen lässt. Durch die Entdeckung der Antibiotika geriet diese eindrucksvolle Wirkung in Vergessenheit. Doch seit kurzer Zeit erlebt die Therapie mit Maden eine Art Renaissance, zum Beispiel bei der Behandlung des diabetischen Fußes. Mit teils spektakulären Ergebnissen. Vilcinskas und sein Team sind bereits mittendrin, auf Grundlage der Madenzellen einen speziellen Wirkstoff herzustellen und zum Beispiel in Pflaster zu integrieren.
Ernteerträge sichern, Krankheiten vermeiden
Doch in Gießen fährt man mehrgleisig und nutzt die gesamte Bandbreite an Anwendungsmöglichkeiten: „Wir sind deutschlandweit mit an der Spitze, wenn es um die Entwicklung innovativer biotechnologischer Verfahren zur Bekämpfung von Schad- und Vektorinsekten geht“, berichtet Vilcinskas stolz. Denn Insekten zählen zu den größten Nahrungskonkurrenten des Menschen. Angesichts der wachsenden Weltbevölkerung ist es daher umso wichtiger, Ernteausfälle wirksam zu verhindern. So könnten Raps, Gerste oder Mais durch die RNA-Interfenz-Technologie widerstandsfähig gegen spezielle Schädlinge gemacht werden. In Deutschland und vielen anderen Ländern wiederum leiden Obst- und Weinbauern derzeit an der Kirschessigfliege, einer invasiven Art aus Japan. Sie schädigen die Früchte erst kurz vor der Ernte, wodurch sie sich mit herkömmlichen Insektiziden nicht bekämpfen lassen. Eine der Nachwuchsgruppen am ZIB beschäftigt sich damit, umweltfreundliche Technologien zur Geschlechtertrennung und männlichen Sterilität der Fliege zu entwickeln. Diese unfruchtbaren Artgenossen können freigesetzt werden, um so die Wildtyp-Population nachhaltig zu reduzieren. Solche Verfahren könnten auch genutzt werden, um beispielsweise die Mückenarten zu bekämpfen, die Zika oder andere lebensbedrohliche Erkrankungen übertragen. „Wir haben in Süddeutschland schon einen festen Bestand an Tigermücken“, warnt Vilcinskas. Momentan gebe es noch keine Anzeichen, dass sie einen Virus in sich tragen, doch die Gefahr ist greifbarer geworden.
Nützliche Schädlinge
Dass man von Schädlingen auch lernen kann, zeigte das Team um den Lebensmittelchemiker Holger Zorn. Aus dem Getreidekapuziner-Käfer konnten sie ein Enzym isolieren, das genau das Peptid entschärfen kann, welches als Bestandteil des Glutens allergische Reaktionen bei einer wachsenden Anzahl von Menschen verursachen kann. Eine andere Gruppe wiederum fokussierte sich auf den Totengräber-Käfer, um letztlich neuartige Konservierungsstoffe für Lebensmittel zu entwickeln. Die Ideen gehen den Experten vom ZIB in Gießen jedenfalls nicht aus. So darf man gespannt sein, welche Innovationen aus Vilcinskas Wirkstoffschrank in ein paar Jahren auf dem Markt sein werden.