Innovative Forschung und Therapie für affektive Störungen - 3

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    © Steffen Böttcher
    Philipps-Universität Marburg Innovative Forschung und Therapie für affektive Störungen

    „Vereinfacht gesagt: Placebos enthalten keinen klinischen Wirkstoff, zeigen aber einen klinischen Effekt.“ Und das ist auch in der Behandlung von affektiven Störungen, also Erkrankungen wie Depressionen oder bipolaren Störungen, ein spannender Ansatz. „In meiner Teilstudie arbeite ich mit einem neuen Antidepressivum namens Ketamin“, erzählt uns der junge Mediziner. Anders als die bisherigen Medikamente, die oft zwei bis drei Wochen brauchen, um ihre Wirkung zu entfalten, wirkt Ketamin in wenigen Stunden – eine große Erleichterung zum Beispiel für Patienten mit akuten schweren Depressionen. Zudem ist es relativ nebenwirkungsarm. „Bei neuen Medikamenten macht man bei einer Kontrollgruppe immer auch eine Vergleichsprüfung mit einem Placebo, weil man denkt: Das wirkt ja nicht.“ Aber das ist falsch, wie uns Cüneyt erstaunt berichtet: „In unserer Ketamin-Studie liegt der Placebo-Effekt bei 68 Prozent!“ Und selbst, wenn die Patienten wissen, dass sie ein Placebo bekommen – der Placeboeffekt liegt bei den verschiedensten Krankheiten bei rund 50 Prozent.

    Cüneyt erklärt: „Man weiß zum Beispiel, dass bei Patienten Umweltfaktoren eine große Rolle spielen. Der weiße Kittel des Arztes, das Krankenhaus, wenn ein Medikament besonders teuer ist …“ Das ganze Setting hilft dem Patienten also bei der Heilung: Kittel, Stethoskop, Wartezimmer, Klinikbetten, die sonore Stimme des erfahrenen Arztes. „Und wir untersuchen in diesem Sonderforschungsbereich die Mechanismen, die dahinterstecken“ – nämlich die Erwartung der Patientinnen und Patienten. Die Ergebnisse der Untersuchung könnten nämlich sehr gewinnbringend sein. Das Ziel dabei ist es nicht, ganz von den Medikamenten wegzukommen. „Aber wir können damit die Behandlungen optimieren. Das ist das große Potenzial unserer Forschung!“, berichtet Oberärztin PD Dr. Irina Falkenberg, , „Wir Ärzte setzen das Potenzial der Erwartung eigentlich bewusst oder unbewusst schon seit Hunderten von Jahren ein.“ Jetzt wird das aber klinisch erforscht, um dieses uralte intuitive Wissen auch gezielt und maximal effektiv einsetzen zu können. Spannend ist auch: „Der Placeboeffekt wirkt nicht nur bei psychischen Erkrankungen, sondern auch bei körperlichen“, betont Prof. Dr. Kircher. Bluthochdruck, Diabetes, Kopfschmerzen, sogar Mittelohrentzündungen bei Kindern konnten so schon geheilt werden.

    Der Psychiater und Neurologe Dr. Felix Bernhard berichtet noch von einer weiteren Methode jenseits der Pharmakologie, die in Marburg erforscht wird: Elektrostimulationen. Genauer erforscht er, wie der Vagusnerv, der zum Beispiel für die Entspannung und Stressreduktion verantwortlich ist, mit Elektroden am Ohr stimuliert werden kann. „Über den Hautnerv gelangt der Strom dann bis zur Hirnrinde und wird von dort aus weitergegeben.“ Dafür hat er sich eine neue, innovative Bildgebungstechnik überlegt, mit der man ganz präzise bestimmen kann, wohin der Strom gelangen soll. „Das ist quasi wie ein Fenster zum Gehirn“, lächelt er. Denn diese Behandlungsmethode gibt es zwar schon, Geräte dafür sind frei erhältlich. Aber: „Der Stimulator war ursprünglich für die Behandlung für Epilepsie gedacht und ist bei Depressionen längst nicht so wirksam, wie er sein könnte.“ Mit seinem neuen Verfahren kann dieses Manko nun aber behoben werden: „Man kann genau sehen, welchen Teil des Gehirns man stimuliert, und den Patienten damit optimal individuell behandeln.“

    Depressionen gelten als eine der weitverbreitetsten „Volkskrankheiten“, unter denen zahllose Menschen wie auch deren Angehörige (mit-)leiden und die auch wirtschaftlich große Schäden anrichten. An der Universitätsklinik Marburg entstehen nun innovative Behandlungsmethoden, um den Menschen schnelle und optimale Hilfe zu bringen – die bisherigen Erkenntnisse sind mehr als vielversprechend!

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