Prof. Dr. Moneke, würde man nicht gehörig Druck aus der Diskussion um die Nachhaltigkeit von Kunststoffen nehmen, wenn man die Entwicklung ihrer biologischen Abbaubarkeit vorantreiben würde?
Auf den ersten Blick mag das stimmen und es gibt sicherlich Anwendungen, bei denen das Sinn macht. In den allermeisten Fällen verlangt man von Kunststoff allerdings genau das Gegenteil – nämlich eine lange Haltbarkeit. Die biologische Abbaubarkeit wäre nur ein anderer Weg, den Werkstoff nach seiner einmaligen Verwendung wieder loszuwerden. Ich halte hier ein modernes Recycling für wesentlich zielführender, und genau an diesem Punkt sollten wir ansetzen und forschen. Recycling funktioniert dann gut, wenn wir funktionierende Rücknahmesysteme haben. Wir haben in Deutschland schon ein sehr gutes Recyclingsystem, und die verschiedenen Arten von Kunststoffen werden über diverse Mess- und Verarbeitungsmethoden bereits sehr gut voneinander getrennt und weiterverarbeitet.
Unabhängig davon lassen sich weitere Wege finden, die Nachhaltigkeit von Kunststoffen zu verbessern. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel:
Bei Kunststoffverpackungen bestimmter Lebensmittel wie zum Beispiel Käse wird darauf geachtet, dass das Produkt möglichst luftdicht verpackt ist, um eine möglichst lange Haltbarkeit zu gewährleisten. Eine weitere Anforderung an die Verpackung ist, dass keine Feuchtigkeit austreten darf, damit das Produkt nicht austrocknet. Um diesen beiden Barriereeigenschaften gerecht zu werden, benötige ich bereits zwei unterschiedliche Kunststoffe, die dann durch einen dritten verbunden werden müssen. In der Praxis entstehen durch weitere Anforderungen an die Verpackung, wie beispielsweise eine Versiegelbarkeit und weitere mehr, bis zu 13 verschiedene Folienschichten mit einer Gesamtdicke von vielleicht 100 μm. Eine solche Folie lässt sich nie wieder ordentlich sortenrein recyceln. Die Kunststoffbranche schafft es aber mittlerweile durch verschiedene Tricks wie Verstreckung und Kristallisation, diese Anforderungen in einem einzelnen Kunststoff unterzubringen, der dann problemlos sortenrein recycelt werden kann.
Ich will Ihnen gern noch ein anderes Beispiel geben:
In meinem Fachbereich hier an der Hochschule in Darmstadt forschen wir zum Beispiel gerade an der Oberflächenbeschaffenheit von Kunststoffen und wie diese auf physische Belastungen reagieren. Kunststoffoberflächen verlieren an Attraktivität, wenn sie zerkratzen, und werden oft viel zu früh allein schon deshalb entsorgt und ausgetauscht. Wir untersuchen hier, wie wir solche Auswirkungen minimieren können, um das Produkt werthaltiger zu machen. Durch eine geschickte Oberflächenstrukturierung kann man hier eine Menge bewirken und Kratzer beispielsweise schon deshalb gar nicht erst sichtbar werden lassen, weil die Oberfläche bereits eine entsprechende Struktur aufweist. Momentan untersuchen wir hier Systematiken von Strukturen und leiten daraus später eine optimierte Oberflächenstruktur ab. Wenn Sie sich allein schon in die Bereiche des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs oder des nächsten großen Marktes des autonomen Fahrens bewegen, werden solche robusten Oberflächen dazu beitragen, die Attraktivität und damit die Haltbarkeit von Verkehrsmitteln wesentlich zu verlängern. Nachhaltigkeit bedeutet aus meiner Sicht eben nicht biologische Abbaubarkeit von Werkstoffen, sondern insbesondere, die Haltbarkeit um ein Vielfaches zu erhöhen und zu verlängern. Übrigens bedeutet biologische Abbaubarkeit auch CO2-Freisetzung – wie bei der Verbrennung, nur ohne die dortige Energiegewinnung. Wir können durch unsere Forschung den psychologischen Moment des Verzichtes und der Verhaltensänderung – nämlich weg davon, ständig neue Produkte zu konsumieren – dadurch unterstützen, dass wir Kunststoffprodukte nicht nur technisch, sondern auch optisch länger haltbar machen. Es sind also nicht die ganz großen Geschichten, mit denen wir beim Thema Nachhaltigkeit punkten, sondern ganz viele kleine Schritte.