Sie sind so winzig, dass man sie weder mit dem bloßen Auge noch mit einem Mikroskop sehen kann. Doch wenn man ihre Kraft bündelt und zu nutzen weiß, können Atomkerne Leben retten. Denn in der modernen Medizin macht man sich die Erkenntnisse aus der Physik zunutze und setzt sie gezielt zur Bekämpfung von Tumoren ein.
So wie in Marburg. Seit Oktober 2015 können Krebs-Patienten hier eine innovative Behandlung erhalten. Das Marburger Ionenstrahl-Therapiezentrum (MIT) bietet dabei gleich zwei neue Arten der Partikelbestrahlung an: mit Protonen aus Wasserstoff sowie mit Schwerionen des Kohlenstoffs. „Die Therapie mit Protonen ist weltweit mit rund 50 Therapiezentren schon etablierter“, sagt Prof. Dr. med. Rita Engenhart-Cabillic, Direktorin der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie an der Philipps-Universität Marburg. Doch nur acht Einrichtungen bieten zusätzlich auch die Therapie mit Kohlenstoff an, zwei davon sind in Deutschland: das HIT (Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum) in Heidelberg und eben das MIT (Marburger Ionenstrahl-Therapiezentrum) in Marburg. Das Besondere: Das Zentrum in Heidelberg stand den Kollegen in Marburg bei der Planung und der Umsetzung zur Seite. Kooperation statt Konkurrenzdenken – zum Wohle der Patienten. „Das MIT wird von der Rhön-Klinikum AG und dem Universitätsklinikum Heidelberg in Kooperation mit der Philipps-Universität Marburg unter Förderung durch das HMWK (Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst) betrieben“, erklärt Prof. Katharina Krause, Präsidentin der Philipps-Universität Marburg. „Wie bei jeder neuen Therapie ist die Erforschung ein zentrales Element – und da kommen wir gemeinsam viel schneller voran.“ Denn alle Patienten, die behandelt werden, sind automatisch Teilnehmer klinischer Studien. Das ist wichtig, denn aufgrund der meist seltenen Tumorarten benötigt man für eine wissenschaftlich fundierte Studie noch mehr Zeit als ohnehin, um auf die notwendige Zahl an Teilnehmern zu kommen.
Beschleunigung fast auf Lichtgeschwindigkeit
Das MIT selbst liegt auf einem Hügel oberhalb der Stadt auf dem Gelände des Universitätsklinikums Marburg. Das Heiligtum für die Physiker liegt verborgen im hinteren Bereich des Gebäudes: der Teilchenbeschleuniger. Mit rund 22 Metern im Durchmesser ist er eher von der kleineren Sorte, dennoch ist die Apparatur beeindruckend. Kreisförmig angeordnet befindet sich hier eine riesige Ansammlung von Stahlrohren, Pumpen sowie großen roten, gelben und grünen Magneten. An den Wänden hängen Schaltpläne, auf den Teilen und an der gesicherten Eingangstür finden sich unzählige Warnhinweise. „Zunächst erzeugen wir unsere Atomkerne, je nach Tumorart des Patienten eben aus Wasserstoffgas oder Kohlendioxid“, erklärt Prof. Klemens Zink, Medizinphysiker an der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) und leitender Medizinphysikexperte am UKGM an der großen Schautafel. Diese werden anschließend in den langen Vakuumröhren wieder und wieder auf eine Kreisbahn geschickt, auf der sie immer schneller werden. Nach etwa einer Million Umläufen im Beschleuniger erreichen die Ionen rund 75 Prozent Lichtgeschwindigkeit. Erst dann extrahieren große, tonnenschwere Magnete die Atomkerne, bündeln sie in der exakten therapeutischen Dosis und führen den millimeterdünnen Strahl zu den Behandlungsräumen.