Aber was wäre, wenn diese sonnenverwöhnten Hügel im Rheingau nicht nur köstlichen Wein hervorbringen könnten, sondern die nötige saubere, erneuerbare Energie gleich mit produzieren? Weinberge könnten den Flächenkonflikt zwischen Sonnenenergie-Erzeugung und Agrarwirtschaft entschärfen und die Winzer die Fläche doppelt nutzen. Die Idee ist so genial wie ein gut gereifter Riesling: Stellen wir uns vor, die Sonnenstrahlen, die ohnehin auf die Rebstöcke fallen, werden nicht nur für die Photosynthese des Weines genutzt, sondern auch, um Solarstrom zu erzeugen.
„Wir sollten zunächst einmal ein paar Missverständnisse ausräumen“, erklärt uns Prof. Dr. Claudia Kammann, Professorin für Klimafolgenforschung an Sonderkulturen an der Hochschule Geisenheim. „Denn eine gehörige Skepsis beruht oft darauf, dass die Leute keine Vorstellung davon haben, wie das konkret aussieht. Denn wir reden hier nicht über das Zupflastern von Weinbergen mit Solarpanels bis kein Blick mehr ungetrübt bleibt, sondern einer Nutzung von Solarenergie für den eigenen Verbrauch des Weinberges. Es wird wohl eher auf eine teilweisen Ausbau der Rebflächen hinauslaufen – in der Art von „Sonneninseln“ in der Weinbau-Kulturlandschaft.”
Obwohl die doppelte Flächennutzung sogar noch mehr Vorteile bietet, als schlichte Energie-Gewinnung: Denn gedacht sind die Solarpanels als bewegliche Fläche. So könnten die Trauben durch die Paneele immer dann zielgerichtet abgeschattet werden, wenn sie zu viel Sonne abbekommen könnten. „Die meisten Leute denken bei Photovoltaik an bodennahe Freiflächenanlagen“, weiß Prof. Kammann. „Und das sind diese großen, undurchsichtigen Module.“ Die Anlage in Geisenheim hat aber halbtransparente Module. Dadurch fällt ein diffuser Schatten auf die Reben, das Licht verteilt sich gleichmäßig und auch im Sommer sanft. „Durch den Klimawandel kann es Hitzewellen von über 40 Grad geben“, sagt die Wissenschaftlerin. „Dadurch können die Trauben an der Rebe vertrocknen. Die zarte Haut der Trauben bekommt einen starken ‚Sonnenbrand‘.“ Und auch vor Starkregenereignissen, teilweise mit Hagel – wiederum ein durch den Klimawandel immer häufigeres und zerstörerisches Phänomen – sind die Trauben so geschützt. Doch bekommen sie unter so einem Dach überhaupt genug Wasser ab? „Wir wollen das Regenwasser in Zisternen zwischenlagern, damit wir in Trockenphasen eine Tröpfchenbewässerung starten können.“ Die Bewässerungsanlage kann dann durch den selbst erzeugten Strom autonom betrieben werden.
Unterm Strich soll der Weinberg so autonom betrieben werden, auch im Winter. Um die Jungtriebe vor Frost zu schützen, wurden nämlich Heizdrähte gezogen, die die Reben nach dem Austrieb knapp über dem Gefrierpunkt halten können – auch das eine Notwendigkeit, die sich aus dem Klimawandel ergibt. „Die Reben treiben durch den Klimawandel immer früher aus“, erklärt Prof. Kammann. „Wenn sie dann im April austreiben, und es kommt noch einmal eine kalte Nacht, gibt es Spätfrostschäden an den zarten jungen Trieben.“ Was eine Ernte schon ganz am Anfang schädigen kann, wird so verhindert. Und das ganz ohne externe Energiezufuhr. Es ist aber noch einiges an Forschung nötig, weiß Lucía Garstka, Doktorandin am Institut. „Meine Aufgabe ist es, die Reben unter der PV-Anlage zu untersuchen. Wie gut funktioniert die Photosynthese unter der Beschattung der Module? Wie groß ist der Wasserstress? Wir generieren jetzt erst mal fundierte Daten.“ Denn so eine Agri-PV-Anlage könnte sich auch auf den Geschmack der Trauben selbst auswirken, der Wein könnte säurereicher und alkoholärmer ausfallen. „Wir hatten in den letzten Jahrzehnten durch den Klimawandel eher einen zu raschen Säureabbau und zu hohe Mostgewichte“, gibt Prof. Kammann zu bedenken. „Wenn ich jetzt als Winzer einen Teil meiner Fläche mit einer PV-Anlage überdache, habe ich wahrscheinlich meine eigene Säurereserve und kann dann mit der richtigen Dosierung den ursprünglichen Charakter meines Weines wiederherstellen.“
Agri-PV – nicht nur eine Investition für die Zukunft, sondern auch ein Erhalten der Tradition durch Innovation.