Das Fachgebiet Zoologie an der Universität Kassel
Christine Martin schaut fasziniert auf das kleine violette Getier, das vor ihr auf einem Stück Holz im Labor entlangwandert. „Jetzt ärgern wir ihn mal ein wenig“, sagt sie mit dem Anflug eines Lächelns und nähert sich dem sogenannten Stummelfüßer mit einem Pinsel. In Bruchteilen einer Sekunde ist das Tier in Habachtstellung und versprüht ein durchsichtiges Sekret auf die Finger von Christine. Und genau darauf hat sie es abgesehen. „Das Zeug ist ein Super-Klebstoff“, sagt sie und demonstriert die Wirkung zwischen Daumen und Zeigefinger.
Stummelfüßer gehören zur Gruppe der Onychophoren, was im Wortlaut so viel bedeutet wie „Krallenträger“. Denn die Tiere sehen zwar aus wie Würmer, haben aber je nach Spezies 13-43 kurze Beinpaare, die an der Spitze Krallen aufweisen. „Es gibt rund 200 beschriebene Arten, doch ich vermute, dass es insgesamt weit über 1.000 geben müsste“, erklärt Prof. Georg Mayer vom Fachgebiet Zoologie der Universität Kassel. Mayer hat bereits selbst einige neue Arten entdeckt: „Ich hatte von den Tieren in einer Vorlesung gehört und fand sie faszinierend“, erinnert er sich. Also machte er sich Ende der 90er-Jahre in Tasmanien auf die Suche – und wurde fündig. Von den drei Arten, die er entdeckte, waren zwei bis dato völlig unbekannt. „Eine weitere habe ich später nach meinem Sohn benannt“, sagt er grinsend. Von da an war es um den jungen Wissenschaftler geschehen. Er änderte seinen Schwerpunkt und schrieb seine Doktorarbeit über die Onychophoren.
Geleimt: Jagdtechnik wie im Cartoon
Was den jungen Forscher so begeistert hatte, waren vor allem zwei Dinge: Die stark wasserabweisende Eigenschaft der Haut sowie die Jagdtechnik der Stummelfüßer. Aus spezialisierten Düsen am Kopf schießen sie ihren klebrigen Schleim auf die Beute und machen sie so handlungsunfähig. Auch zur Verteidigung nutzen sie das Sekret. In den letzten Jahren haben Mayer und einige seiner Mitarbeiter die Funktionsweise sowie den Aufbau des Drüsensekrets entschlüsselt – und dabei Erstaunliches festgestellt. Der Schleim besteht aus winzigen kugelartigen Fett-Eiweiß-Partikeln, die sich bei Berührung zu Mikrofasern versteifen – aufgeteilt in einen zugfesten Kern sowie eine klebrige Komponente. Das Ergebnis: Der Biokleber haftet nicht nur in Sekundenschnelle fest an Oberflächen, sondern die Polymere lösen sich mit Hilfe von Wasser wieder auf. „Diese Eigenschaft eröffnet interessante Perspektiven – zum Beispiel in der Industrie, aber auch ein Einsatz in der operativen Medizin wäre denkbar“, so Prof. Mayer. Daher untersuchen die Forscher aus Kassel jetzt unter anderem die genauen chemischen Eigenschaften der beteiligten Proteine und versuchen sie genetisch zu entschlüsseln – alles mit dem Ziel, den Bio-Sekundenkleber später synthetisch nachzubauen.